AlterssichtigkeitBei mir und meiner Frau ist es soweit. Ohne dass wir uns wirklich alt fühlen, häufen sich die Anzeichen, dass wir älter werden. Was weh tut sind jene Momente, in denen wir unvorbereitet auf unser Alter hingewiesen werden. Über mein Entsetzen, als mir ein Junge in einer Straßenbahn seinen Platz anbot, aber auch meine beängstigenden Momente beim Windelkauf habe ich ja schon berichtet. Vor ein paar Tagen hat auch meine liebe Frau für kurzes erschrecktes Innehalten gesorgt, als sie mir gedankenlos folgenden Satz hinwarf: »Na wenn du dann in 20 Jahren einmal sechzig bist.« In zwanzig Jahren?! Leider musste ich meine Frau drauf hinweisen, dass sie selbst in 13 Jahren sechzig sein würde und ich schon in zwölf. Das ist nun mal die Realität.

Alterssichtigkeit als gewolltes Design

Ab und zu habe ich aber dann doch das Gefühl, dass sich die Natur bei manchen Alterssymptomen der Menschen was gedacht hat. Nicht alles ist schlecht. Wir kennen alle die alten Witze über den Segen des fortschreitenden Hörverlustes, vor allem wenn dieser zunehmend selektiv eingesetzt wird. Mein Vater war großartig und hatte eine völlig neue Form der Unterhaltung kreiert, als er ab 65 bei jedem Amtsweg, Amtstelefonat oder auch Ticketüberprüfung in Bahn und U-Bahn, eigenhändig dutzende Staatsdiener in den Wahnsinn trieb. Seine immer höflichen aber unerbittlichen Nachfragen: »Wie bitte? Habe ich nicht verstanden? Könnten sie bitte deutlicher sprechen? Würde sie bitte aufhören zu brüllen? Behandeln sie ihre Eltern auch so?«, waren erbarmungslos und legendär. Auch perfid eingebaute Missverständnisse wie: »Ich habe keinen fahren lassen!« auf die Frage »Wohin fahren sie?« und viele mehr verkürzten so manches Amtsgeschäft radikal und sorgte für erheblichen Ansehensverlust beteiligter Amtsträger. Offen gestanden, die Härte habe ich noch nicht und bin bei der Vortäuschung auch noch nicht so glaubhaft.

Aber, das Alter hinterlässt an mir und meiner Frau schon klare Spuren. Wir beide sind zunehmend Opfer der Alterssichtigkeit. Ich selbst habe vor ca. zwei Jahren so richtig begonnen sie zu bemerken. In zunehmenden Maße wurde der Teletext unseres Fernsehers unschärfer. Anfänglich habe ich das natürlich auf das Alter des Gerätes geschoben. Als ich dann – typisch Mann – einen neuen Plasma-LCD-Schirm mit 235 cm Bildschirmdiagonale besorgte, musste ich dann trotzdem kleinlaut zugeben, dass nicht das Gerät, sondern meine Augen ein Firmware-Update nötig hatten. Die lieb gemeinte Schadenfreude meiner Frau war aber auch nur von kurzer Dauer. Denn zwei Monate später, nachdem wir beide bei der Augenärztin gewesen waren, bekam sie eine Gleitsichtbrille verschrieben. Die hatte ich verweigert. Als echter Mann bin ich mir nicht zu schade meine Brille abzunehmen, wenn ich verzweifelt versuche eine SMS am Handy zu lesen und sie auf die Nase zu setzen, wenn ich Menschen erkennen will, die mehr als fünf Meter von mir entfernt sind.

Unschärfe kann auch ein Segen sein

Natürlich fühle ich mich jetzt alt. Aber plötzlich wurde mir auch klar, warum uns die Evolution die Alterssichtigkeit gegeben hat. Sie ist ein wichtiges Designelement, wenn es um erfolgreiche langfristige, monogame Beziehungen geht. Natürlich sehe ich, wenn ich mich in den Spiegel schaue, einen Niko, der noch immer so gut und cool wie vor zwanzig Jahren aussieht. Nur, der Rest der Welt sieht inzwischen einen “alten Sack”, wie das von meiner Tochter so liebevoll ausgedrückt wird. Aber, und das ist der Punkt, wenn sich junge Menschen fragen, wie es sein kann, dass ein Mann und eine Frau sich auch nach 25 Jahren Ehe noch sexy und anziehend finden können, dann sage ich jetzt nur ein Wort: Alterssichtigkeit.

Ohne Gleitsichtbrille, sehe ich für meine Frau noch immer super aus. Und sie für mich auch. Da hat sich die Natur was dabei gedacht. Und mit der Natur sollte man sich nicht spielen. Wer lasern geht riskiert seine Ehe. Klar, sobald der medizinische Augenlaser die Sehfähigkeit von über 40-jährigen auf die Schärfe von 20-jährigen zurückbringt, wollen die auch sofort wieder PartnerInnen, die wie 20-jährige aussehen. Das erklärt die vielen prominenten Großväter, die plötzlich wieder Papa mit Mädels werden, die ihre Enkelinnen sein könnten. Warum die jungen Mädels da mitmachen? Na, die haben da ihre eigenen Gleitsichtbrillen um sich den alten Sack schön zu machen. Mit diesen speziellen Brillen sehen sie nicht alte, peinliche Senioren, sondern Euros, Urlaube und Absicherung. Dazu brauchen die nicht einmal einen Laser.