politisches Kabarett - Heuchler und Feiglinge Ich habe zunehmend den Eindruck, dass politisches Kabarett heute nur mehr eine Bühne für Heuchler und Feiglinge ist. Es lebt von Klischees, Vorurteilen und dem Anspruch die Arroganz und politisch korrekte Engstirnigkeit ihres Zielpublikums zu befriedigen. Was für Mario Barth und KollegInnen die ewigen Klischees Mann/Frau, Hartz IV, Sex, Migrationshintergrund, etc. sind ist für den politischen Kabarettisten der Kapitalismus, Neoliberalismus, FDP, NPD, CSU, etc. Das Ziel ist schon lange nicht mehr das Aufzeigen von Missständen und Fehlentwicklungen, es ist die Rezitation von Schlagworten, die Vereinfachung der Schuld und die Bestätigung einfacher, unreflektierter Vorurteile gegen dankbare böse Mächte wie Finanzmarkt, Konservative, Kirche, und viele mehr.

Wir alle tragen die Verantwortung

Was soll das verändern? Wer soll aufgerüttelt werden? Wer heute in ein politisches Kabarett geht sieht auf der Bühne einen Künstler/Künstlerin, der/die eine einzige Weltsicht vertritt: ihre eigene. Und ähnlich wie bei Papst und katholische Kirche ist diese Sichtweise auch die einzig Wahre und Richtige. Im Publikum sitzen 100 – 300 Menschen, die im Prinzip sowieso schon der gleichen Ansicht sind. Sie sind an diesem Abend gekommen, um ihre Sichtweise bestätigt zu bekommen. Sie wollen mit den anderen im Publikum das Gefühl genießen, dass sie ja eigentlich die Klugen, Gebildeten und Intelligenten sind, weil sie über Barth, Volksmusik und Bild-Zeitung die Nase rümpfen und sich dabei kollektiv weltoffen, brillant und klug fühlen.

Die Wahrheit sieht doch ganz anders aus. Selbst bei den bescheidenen Besucherzahlen des klassischen Kabaretts sind das insgesamt mehr Menschen, als dass sie wirklich alle statistisch gesehen hochintelligent sein könnten. In Wahrheit sind genau diese BesucherInnen der perfekte Querschnitt der neuen Mittelschicht, die den Ikonen des Bösens in ihrem privaten Umfeld um nichts nachsteht. Wie selbstverständlich sind sie nie bereit für eine Dienstleistung oder ein Produkt mehr als den billigsten Preis zu zahlen (selbst für Kabarettkarten nehmen sie jede mögliche Reduktion, Gutschein oder Freundschafts- bzw. KollegInnenpreis in Anspruch). Sie versuchen mit jedem halblegalen und illegalen Trick Steuern zu sparen und halten Verkehrsregeln ein, wenn sie es für richtig halten. Sie wählen grün und sehen sich als liberal aber achten sehr darauf, dass ihre Kinder nicht in Schulen gehen müssen in denen „so viele andere Kinder mit ausländischen Namen sind.“ Sie erregen sich über die Rechte und fordern Toleranz gegenüber fremden Kulturen, kommen mit diesen Kulturen aber nur beim Besuch diverser Restaurants in Kontakt.

Politisch korrekt nennt man die neue Zensur

Sie rufen nach Toleranz und beklagen Zensur, sind aber schon längst die Totengräber des offenen Diskurses, weil sie jedes unerwünschte Argument mit der Zensurkeule politisch unkorrekt in Grund und Boden prügeln. Die, die sich in meinem Bekanntenkreis offen, liberal und aufgeschlossen nennen, sind in Wahrheit schon längst konservativer, unbeweglicher und feiger als unsere Elterngeneration in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts es je war. Und sie sind es, die dann in einem politischen Kabarett sitzen und sich überlegen zukichern, wenn mal wieder Bayern durch den Dreck gezogen wird. Politisches Kabarett hat ein ehernes Gesetz: wenn du einen Lacher – und vor allem Applaus willst – dann musst du nur folgende Begriffe spöttisch rauslassen: »FDP, CSU, Bayern, Hansi Hinterseer, FPÖ (Österreich), Stronach (Österreich), etc.« Egal wie langweilig, intellektuell flach, argumentativ schwach, faktisch falsch und mühselig deine Predigt über Neo-Liberalismus und Kapitalismus davor war, mit diesen Zauberworten ist der Applaus sicher. Denn diese einfachen Begriffe versteht das Kabarett-Publikum, auch wenn es davor schon längst überfordert abgeschaltet hat. Es ist der Pawlowsche Reflex des politischen Kabaretts.

Und hier liegt der Hund begraben. Ich halte die politischen KabarettistInnen deswegen für Heuchler und feig, weil sie sch über die Primitivität von Comedy lustig machen, Kritik, Analyse und Angriff einfordern, es selbst aber nie tun. Nicht die PolitikerInnen allein, nicht die Banker allein und nicht der Kapitalismus allein ist an allem Schuld. Wir alle sind es, denn wir sorgen als WählerInnen, Eltern, LehrerInnen, KünstlerInnen, etc. schon selbst für diese Welt. Es ist natürlich viel einfacher die Eigenverantwortung an dunkle Mächte abzuschieben. Ein wirklicher politische Kabarettist hält genau den Leuten die im Publikum sitzen den Spiegel vor. Er offenbart, provoziert und verurteilt wie verwerflich und falsch wir alle sind – und vor allem die, die jetzt dasitzen und auf Absolution durch einen Künstler hoffen. Wer den wunden Punk wirklich trifft, wird sicher nicht nur Applaus und Gelächter ernten, sondern muss zwangsläufig auch auf Gegenwind stossen. Aber dazu fehlt allen der Mut. Die Hand die mich füttert beiß ich nicht. Also reduziert sich der politische Kabarettist heute darauf die offensichtliche Mitverantwortung all der Menschen in seinem Zuschauerraum an den Zuständen der Welt mit Klischees über mächtige, zwielichtige und externe Mächte umzuverteilen. Nach dem Motto: »Danke, dass ihr mich bezahlt und dafür erkläre ich die Welt so, das andere böse und ihr gut und klug sein könnt.«

Wo sind denn die bösen Mächte?

Vielleicht lese ich nur nicht aufmerksam genug, aber ich habe in den letzten Jahren von keinem großen Gerichtsverfahren gegen KabarettistInnen in unserem Kulturkreis gehört. Inzwischen tauchen politische KabarettistInnen doch viel öfter in den Medien und der Society-Berichterstattung auf, weil sie gerade wieder einmal einen Verdienstorden oder ein Ehrenzeichen der Republik verliehen bekommen. Kann es sein, dass das politische Kabarett inzwischen so harmlos geworden ist, dass es sich für die Bösen der Welt nicht mehr lohnt dagegen vorzugehen? Im Gegenteil, vielleicht ist das derzeitige politische Kabarett inzwischen ein so perfektes Feigenblatt, dass es von der wahren Verantwortung, der Eigenverantwortung jedes Einzelnen, perfekt ablenkt. Wo sind denn die reaktionären Kräfte, die Zensur, die Banker und all die anderen? Keiner scheint mit dem, was auf unseren Kabarettbühnen oder in den Medien erzählt wird, ein ernsthaftes Problem zu haben. Das würde mir zu denken geben, wenn ich ein politischer Kabarettist wäre. Wenn die Mächtigen mit nichts was ich tue ein Problem haben, dann muss ich falsch liegen.

Es ist einfach auf Mario Barth, Atze Schröder, Cindy, etc. hinzuhauen. Es ist genauso einfach wie auf FDP, CSU, Banker, Neoliberale, etc. hinzuhauen. Wenn aber einer den großspurigen Anspruch vor sich herträgt wirklich kritisches, politisches und sozialkritisches Kabarett zu machen, dann fordere ich ihn oder sie heraus es wirklich zu tun. Nicht mit der Bedienung von politischen Vorurteilen, aber mit der Forderung nach Eigenverantwortung und Schuldeingeständnis bei jedem einzelnen von uns. Öffnet den Menschen im Saal mit brillanten Formulierungen, schwarzem Humor und grandiosen Gags die Augen. Lasst sie doch erkennen, warum es ihre eigen Verantwortung ist die Welt zu ändern. Statt primitiv auf Rösler herumzuhacken, zeigt die Heuchelei und Doppelmoral im Leben jener Leute auf, die zu eurer Show gekommen sind und die für ihre Welt verdammt noch mal selbst mitverantwortlich sind. Mach es so, dass sie es klar erkennen und es sie wirklich schmerzt. Auch auf die Gefahr hin, dass sie den Saal verlassen und nicht mehr kommen.

Wenn dir dieses Risiko aber als KünstlerIn zu groß ist, dann stelle keinen hohen Anspruch, vor allem nicht an andere. Dann gibt wenigstens ehrlich zu, dass auch du in Wahrheit Klischees und Vorurteile zur Förderung des eigenen Erfolgs nutzt und bedienst. Vielleicht auf anderem Niveau, vielleicht mit anderen Themen. Aber du bist nicht anders als Barth, DJ Ötzi und viele andere erfolgreiche KollegInnen, die man nicht lieben, aber für ihren Erfolg respektieren muss.