Werber und GeneraliVor ein paar Tagen verirrt sich im Warteraum unseres Orthopäden (mein Sohn hatte wieder einmal einen einenhalbfachen Salto versucht) die Zeitschrift Format in meine Hände. Und schon die erste Doppelseite des Magazins hat mich völlig verunsichert. Ich blickte auf ein riesiges Inserat. Ein leicht verwirrt aussehender Mann in meinem Alter (48), oder knapp darüber, schielt mich an. Das Ganze ist ein Inserat der Generali Gruppe. Neben dem verwirrten Mann prangt eine Überschrift in großen Lettern:

Meine Frau ist halb so alt wie ich.

»Wow!« denke ich mir als typischer Mann. Wenn diese Frau jetzt auch noch halb so hässlich wie der Typ selbst ist, dann stellt sich nur mehr die Frage wie er das geschafft hat? Offensichtlich fragte sich der Typ das selber auch, denn unter dem ersten Text steht:

Und ich bin noch nicht einmal reich. Vaterkomplex hat sie wohl auch keinen, jedenfalls nicht mehr als alle anderen Frauen, die ich kenne. Wieso sie trotzdem mich ausgesucht hat? Ich habe keine Ahnung (Anm.: Ich auch nicht, vor allem wenn ich dieses Gefasel lese). Sie sagt, dass ich sie glücklich mache. Das ist wohl die unendliche Dankbarkeit, die sie da spürt. Sie hat mich gerettet. Vor mir selbst.

Zuerst kotzen, dann denken

Nachdem ich den Boden des Warteraums unseres Orthopäden von meiner Kotze gereinigt hatte, versuchte ich das Inserat zu verstehen. Offensichtlich war ich ja genau die Zielgruppe, die die Versicherung erreichen wollte. Und ich passe da auch perfekt rein. Ich bin ein belämmerter alter Sack. Ich lebe nach dem biblischen Grundsatz: „Selig sind die geistig Armen“. Ich habe kein Problem zuzugeben, dass ich kein Genie bin. Im Gegenteil, ich setze ganau dieses Wissen um meine limitierte Brillanz und mein Nichtwissen gelegentlich sogar gezielt ein.

Unlängst musste ich zum Elternsprechtag in die Schule meines Sohnes. Eine Lehrerin sagte zu mir: »Ihr Sohn ist so begabt und klug. Wirklich. Er ist nur ein wenig faul.« Habe ich zu ihr gesagt: »Das glaube ich nicht. Der ist einfach nur so ein Vollkoffer wie ich. Also seien sie nicht zu hart zu ihm, denn mit der genetisch bedingten Blödheit, die er von mir hat, ist es eh ein Wunder, dass er schon so weit gekommen ist.«

Werbung an der Grenze meines Intellekts

Und das Inserat der Generali zeigte mir wieder einmal brutal die Grenzen meines Intellekts auf. Ich habe es einfach nicht verstanden. Was wollen die mir mit dieser Doppelseite sagen?

Dass ich als belämmert dreinschauender und Blödsinn labernder alter Sack Chancen auf eine viel jüngere Frau habe? Vielleicht gar nur, weil ich eine Generali Lebensversicherung abgeschlossen habe? Ist das die Antwort auf seine verzweifelte Frage wieso die halb so alte Frau ihn ausgesucht hat? Sie kennt die Lebensversicherung und nimmt ein paar Jahre Horror in Kauf, um ihr Leben dann wirklich zu genießen.

Was meint er mit der unendlichen Dankbarkeit die sie vielleicht spürt, Nur weil sie ihn gerettet hat? Vor ihm selbst? Wie soll ich das verstehen? Verhindert sie mit ihrem Opfer — also der Tatsache dass sie ihr junges Leben mit ihm vergeudet —, dass er weiter jungen Mädchen auflauert und sie vor Schulen und an U-Bahn-Stationen stalked? Dass er irgendwann vor einer Schule erwischt und der Polizei vorgeführt wird? Hat sie nicht nur ihn, sondern vielleicht viele andere junge Mädchen vor ihm gerettet? Und wenn sie ihn jetzt von der Straße und dem Stalking abhält weil sie auf eine schöne Zukunft mit dem Geld der Lebensversicherung spitzt, sollten wir deshalb alle der Generali danken?

Wahnsinn, ich hatte keine Ahnung. Es gibt so viele Interpretationsmöglichkeiten. Wurde damit ein Pädophiler auf den richtigen Weg gebracht? Opfert sich eine junge Frau in wahrer christlicher Tradition, um die Seele eines kranken Mannes und vieler junger Mädchen zu retten?

Werbung, die mich zum Nachdenken anregt

Hut ab. Wer immer diese Anzeige erdacht und formuliert hat, hat mich zum Nachdenken gebracht. Er hat meine primitiven sexistischen Knöpfe gedrückt :Meine Frau ist halb so alt wie ich. Er hat meine Klischees und Vorurteile gegenüber Frauen bestätigt: Vaterkomplex hat sie wohl auch keinen, jedenfalls nicht mehr als alle anderen Frauen, die ich kenne. Und er hat mich dann zu einer scheinbar logischen Conclusio gebracht: Die Generali hält Perverse von jungen Mädchen fern. Das ist Werbung in Perfektion.

Oder aber, welches Kraut muss man rauchen um auf so eine Idee für ein Inserat zu kommen? Kann ich auch was davon haben?