Tolle Gags - alles nur geklaut?Es gibt kaum ein heißeres Thema wenn Comedians irgendwo zusammentreffen und über ihr Geschäft sprechen: geklaute Gags. Seit es Comedy und Kabarett gibt, ist das ein Thema. Jeder hat seine eigene Geschichte von einer „Hammernummer“ und einem „Mördergag“ die, bzw. der, dann ein paar Wochen nach einem Auftritt plötzlich wortident beim Gig eines Kollegens aufgetaucht ist. Und Hand auf’s Herz, der oder die, welche noch nie auch nur eine Anleihe an einer Gag-Idee oder einem Witz eines anderen genommen hat, solle den ersten Stein werfen. Aber wie immer im Leben, gibt es auch bei diesem Thema kein klares schwarz und weiß, sondern mannigfaches Grau. Wie immer ist alles doch ein wenig kompliziert.

Moral – eine Frage der Perspektive

Fangen wir mit dem scheinbar Einfachen an. Pointen, Gags und Nummern zu klauen ist falsch. Punkt. Es ist eben nichts anderes als Diebstahl. Wer sich nicht schuldig machen und ein absolut reines Gewissen behalten will, darf es einfach nicht machen. Tja, klingt einfach, oder? Wir leben aber in einer Welt, in der selbst richtig und falsch immer wieder individuell und nach Eigeninteressen bewertet werden.

Es ist auch falsch Geld für einen Auftritt zu bekommen und dieses Geld dann nicht korrekt zu versteuern. Es ist auch falsch in Bus und U-Bahn schwarz zu fahren. Es ist auch falsch die Wohnung von HandwerkerInnen ohne Steuernummer ausmalen zu lassen oder die LebensabschnittsparterIn zu betrügen. Unser Glück als Menschen ist, dass wir selbst stets bereit und fähig sind die Maßstäbe, die wir in einem Lebensbereich anlegen, völlig konsequent und logisch in anderen Bereichen, sagen wir einmal, zu „adaptieren“. Was wir bei Steuererklärung, Schwarzarbeit tun, tun andere, oder gar wir selbst, auch da wo dieses Handeln unsere eigenen Interessen verletzt. Mein Punkt: es wird geklaut und es wird auch weiter geklaut werden. Das Leben ist hart.

Immer die gleichen Themen

Aber Vorsicht, nicht jeder Gag von dem wir sicher sind, dass er geklaut ist, ist es auch. Seit es Comedy gibt schreiben wir doch alle über ein und dasselbe Thema: das Leben. Jeder hat die gleichen Probleme in Beziehungs-, Familien- und Erziehungsfragen. Wir stürzen uns alle auf die Trendthemen wie im Moment z.B. Facebook, Vampirfilme, Migration und vieles mehr. Offen gesagt, wenn mir ein Gag zu einem dieser Themen einfällt, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch einem anderen der gleiche Gag dazu einfallen wird. Ich bin kein Genie und natürlich nicht einzigartig. Vielleicht werden wir leicht unterschiedliche Formulierungen verwenden, aber am Ende wird es die gleiche Pointe sein.

Wer das wirklich verhindern will, muss sich mit absoluten Nischenthemen auf völlig neue Art beschäftigen. Aber dann wird er oder sie auch mit Nischenpublikum und ohne kommerziellen Erfolg leben müssen. Bevor wir also laut »Haltet den Dieb, das ist mein Gag!« rufen müssen wir uns ernsthaft fragen, ob nicht jeder halbwegs talentierte und humoristische Mensch auf diese Idee hätte kommen können? Und wenn wir dann ehrlich sind werden wir fast immer zugeben müssen: Ja!

Wenn Stars klauen

Kommen wir zu einem Trend, der wirklich langsam unangenehm wird. Das Problem, vor allem für noch nicht so bekannte KünstlerInnen in unserer Branche, ist, dass du oft nicht nur Opfer des Diebstahls bist, sondern auch keine Chance hast dich zu wehren. Diese Erfahrung von Ohnmacht und Hilflosigkeit verstärkt natürlich die verletzten Gefühle. Besonders emotional wird die Sache, wenn plötzlich ein medial erfolgreicher und berühmter Kollege beim nächsten Auftritt mit Gags im TV zu sehen ist, die du drei Wochen davor auf einer offenen Bühne in Hamburg gebracht hast. Machen kannst du dagegen nichts. Rechtlich gibt es keine Handhabe und wer will sich schon auf so einen Streit einlassen? Dir ist klar, dass du auch in Fragen der Glaubwürdigkeit ein Problem hast, wenn auf der anderen Seite eine Person steht, die regelmäßig Hallen mit tausenden Menschen füllt.

Nun, ein Grund warum diese KollegInnen diese Hallen füllen und gefühlte 12 Stunden am Tag im TV zu sehen sind, liegt genau in deren Fähigkeit alles dem eigenen Ehrgeiz und dem eigenen Erfolg unterzuordnen. Und natürlich gehört es auch da dazu gnadenlos jede sich bietende Chance und Gelegenheit zu nutzen, ohne sich lange Gedanken über moralisches Handeln zu machen. Damit meine ich nicht unbedingt, dass der eigentliche Diebstahl in Kauf genommen und selbst vollzogen wird, aber es werden gewisse Fragen halt nicht gestellt und die Methoden der Zuarbeiter, wie Agenturen, Autoren, Medien, etc. nicht hinterfragt. Ganz nach dem Motto: »Ich hatte keine Ahnung!« Im Englischen so treffend als „plausible Denial“ beschrieben. Die Bereitschaft Dinge „passend“ zu machen, moralische Kompromisse einzugehen und alles dem übergeordneten Ziel unterzuordnen ist der wichtigste Baustein um in einem Geschäft, das durch Egos, Medien und Selbstüberschätzung geprägt ist, echten Erfolg zu haben. Wenn man TV- und Medienpräsenz, Geld und scheinbare Anerkennung als solchen versteht. Und da ist nichts Falsches oder Verwerfliches dran. Niemand wird gezwungen, sich in dieser Branche zu versuchen. Nur die Härtesten und am besten vernetzten setzen sich durch.

Organisierter Diebstahl

Es gibt allerdings eine Entwicklung, die selbst ein moralisches Leichtgewicht wie ich für bedenklich halte. Wenn bei vielen offenen Bühnen und Nachwuchswettbewerben, oder Comedy-Wettbewerben allgemein, zunehmend AutorInnen- und Handlanger diverser „Stars“ und „Agenturen“ der Branche im Publikum sitzen und Ideen, bzw. Gags und Pointen, von jungen KünstlerInnen zuhauf notieren und dann weitergeben, bzw. -verkaufen, wird es wirklich schwierig. Ich verstehe die zunehmende Wut vieler KollegInnen, die in der jüngsten Vergangenheit Opfer solcher Praktiken geworden sind. Gleichzeitig fällt mir aber auch kein Mittel ein um das zu unterbinden. Wir müssen einfach damit leben.

Warum nicht Lizenzen?

Warum gibt es eigentlich im Bereich Comedy kein leistbares und handhabbares Lizenz-Modell? Aus irgendeinem Grund wollen wir nicht den Schritt gehen, denn die Musik schon immer gegangen ist. Bei klassischer Musik sind mindesten 95% aller aufgeführten Stücke alte Hüte. Selbst in der Pop-Musik lebt die Branche hervorragen von Cover-Versionen, also sanktioniertem Klau. Natürlich müsste das System im Bereich Comedy neu erdacht und adaptiert werden. Es gibt unglaublich gute Nummern und Gags von allen möglichen großen Comedians, die den letzten Generationen von ZuschauerInnen nicht bekannt sind. Größen wie Bill Cosby, Jerry Seinfeld, etc., sie alle haben Nummern geschrieben, die noch viele weitere Generationen zu Lachstürmen hinreißen könnten. Wenn es die Möglichkeit gebe diese einfach und zu vernünftigen Preisen zu lizensieren, wäre doch allen gedient? Auf dem Plakat steht halt dann: Niko Formanek (Mit Nummern von Jerry Seinfeld, Bill Cosby,…). Hier ist jetzt weder die Zeit noch der Ort ein solches Modell in allen Details auszuformulieren, aber ich halte das für einen möglichen und sinnvollen Weg.

Du hast es mit dem Gag nicht geschafft

Abschließend noch eine ganz allgemeine Überlegung von mir zu dem Thema. So ärgerlich und verletzend es sein mag, die eigenen Gags bei einem anderen Künstler zu hören, dein Ärger darüber hilft dir nichts. Konzentrier dich auf deine eigene Karriere. Brutal gesagt, wenn es ein anderer Künstler mit einem deiner Gags und deiner Nummern zu Ruhm und Erfolg bringt, dann musst du dich fragen, warum es bei dir mit den gleichen Sachen nicht geklappt hat? In Comedy erfolgreich sein ist eben weit mehr als einfach nur Spitzen-Gags vorzutragen. Vielleicht haben du und ich dieses „etwas mehr“ eben einfach nicht, oder noch nicht. Vielleicht passen deine eigenen Gags auch gar nicht zu deiner Persönlichkeit? Oder du hast deine Bühnenpersönlichkeit noch gar nicht gefunden? Warum auch immer, so sehr es schmerzt, dass ein anderer mit deiner Nummer abräumt, frag dich warum es bei dir nicht klappt?

Selbst wenn du den Dieb öffentlich brandmarkst, seine oder ihre Karriere beendest und in den Ruin treiben könntest, hat das dir selbst nicht geholfen. Deshalb bist du noch lange nicht erfolgreich. Jede Energie die du darauf verschwendest dich selbst zu bedauern und andere zu hassen könntest du genau so gut einsetzen um zu schreiben, besser zu werden, dich selbst zu vermarkten und dich um die eigenen Karriere zu kümmern. Klar, ein schwacher Trost, aber wenigstens ein produktiver Weg um mit einem Problem umzugehen. Denn eines ist sicher. Es wird auch in Zukunft geklaut werden was das Zeug, bzw. der Gag, hält.