Blind oder blöd?

Na da war sie wieder zu recht empört. Und natürlich auch mit ihrem Latein am Ende. Ihr inzwischen 18jähriger Sohn treibe sie noch in den Wahnsinn, erklärte Uschi. »Kein Projekt bringt er zu Ende, immer wieder was Neues und nichts hält er durch«, sagte sie erbost. »Ich verstehe das nicht. Ich gebe ihm jede Möglichkeit. Gymnasium, Lehre, Sport, unterstütze ihn, finanziere Basketball-, Football-, Eishockey- und jede andere Ausrüstung, aber immer war und ist nach kurzer Zeit Schluss.«

Warum ist Sohnemann wohl so wankelmütig?

Ich sitze verblüfft am Tisch und kann es auch nicht verstehen. Oder warte, vielleicht doch. Ich gestehe euch aber auch gleich meine Feigheit ein. Aus Rücksicht auf geltende soziale Konventionen und der allmächtigen politischen Korrektheit, habe ich das nicht laut gesagt, was ich jetzt schreibe. Ich habe es mir nur gedacht. »Kann ich auch nicht verstehen wenn ich dir so zuhöre. Warum wohl? Hat sicher nichts damit zu tun, dass du vier Kinder von drei Vätern hast und jetzt seit sechs Monaten mit einem alten Sack der Geld hat zusammenlebst. Kann auch nicht daher kommen, dass du vier Studien begonnen, keines zu Ende gebracht hast und seit sieben Jahren an deinem Bachelor für geniale Kommunikation und Esoterik arbeitest. Ich verstehe auch nicht, warum ausgerechnet dein Kind Probleme hat Projekte mittelfristig durchzuhalten und sie vielleicht einmal auch zu Ende zu bringen?«, hätte ich sagen sollen. Aber ich habe den einfachen Weg rausgenommen. Ich wollte der Held sein.

Im Zweifel immer: der Vater ist schuld

»Das liegt sicher an seinem Vater«, erklärte ich und Uschi strahlt mich an. »Das ist doch ein dummer Sack. Und für seinen Vater kann er nichts.« Ich ernte allgemeine Zustimmung und fast schon bekomme ich Angst Gefahr zu laufen der nächste alte Sack und Lebenskurzschnitts-Partner von Uschi zu werden – so wie sie mich gerade anstrahlt. Aber das ist praktisch unmöglich. Sie ist ja nicht dumm und nicht blind. Ich habe auch kein Geld.