Mein Sohn Severin zieht ausEr ist inzwischen so cool. Er pokert, blufft und riskiert was das Zeug hält, wenn es darum geht Hausübungen, Lernlektionen oder Leseaufgaben zu vermeiden. Mein lieber Sohn Severin. Je älter er wird, desto höher spielt er. Gestern war es wieder so weit. Nach einer stundenlangen Diskussionsrunde zur Frage ob er das Buch nicht eigentlich schon längst hätte lesen müssen, kam es zur Konfrontation. Mit zitternder Stimme, großer Wut und Frustration im Bauch verkündete er meiner Frau und mir: »Ich will nicht mehr bei euch wohnen. Ich ziehe aus!«

Er packte nur das Nötigste Und er war gut. Kaum hatte er die Worte gesprochen und ich mit einem liebevollen »Cool, dann wird dein Zimmer frei.«, geantwortet, holte er seinen Rollkoffer hervor und begann zu packen. Alles was für ihn wichtig ist: Playstation, iPad-Mini, Iron-Man, Nerf-Pistole, Ladegeräte und Chips. Ich gebe zu, er hat großes Talent und seine Performance war überzeugend. Aber leider musste auch er, so wie ich damals bei meinem Vater, lernen, dass das Leben wirklich mühsam ist, wenn der alte Herr im Bluffen noch besser ist als man selbst. Schon während er packte holte ich ein Maßband und begann fröhlich sein Zimmer auszumessen. Ich trug größere Spielzeugkisten raus und begann das Bett abzuziehen. Das verunsicherte meinen Sohn. »Was machst du da?«, fragte er. »Ich messe alles aus und räume das Zimmer leer. Das hier wird mein neues Arbeitszimmer.«

Das Jugendamt – vermeintlicher Trumpf Fand er gar nicht cool. Er wurde noch wütender. Ich war gerade dabei seinen großen Auftritt zu zerstören. Da packte er die ultimative Waffe aus. »Ich rufe jetzt beim Jugendamt an und dann bekommst du richtig Probleme«, kündigte er stolz an. »Ok, mach nur. Da, ich wähle für dich.« erwiderte ich. »Ich mach es wirklich!« »Mach es. Ich höre zu.« Doch etwas verunsichert nahm er mein Mobiltelefon entgegen. Ich hatte noch nicht auf die grüne Anruftaste gedrückt. Ich sagte: »Bevor du es machst bedenke aber eines. Bis die einen Termin haben und kommen vergehen Stunden, wenn nicht Tage. Das kann für dich eine sehr lange Zeit werden. Und wenn sie dann vor der Tür stehen und nach dir fragen werde ich sagen: Severin? Welcher Severin? Ich habe keinen Sohn. Noch nie einen gehabt.«

Schlacht gewonnen, denn Krieg auch? Nach einer halbstündigen „Ich verliere jetzt nicht mein Gesicht-Phase« hat er dann wieder ausgepackt. Ich habe kein schlechtes Gewissen. Kindererziehung ist die schönste und liebevollste Form der Erpressung. Eins beunruhigt mich aber. Irgendwann werde ich wahrscheinlich von seinem Wohlwollen abhängig sein. Wahrscheinlich schneller als mir lieb ist. Das wird dann ein ganz anderes Poker-Spiel. Und dann muss ich wohl „all in“ gehen.