Wünsche mir eine normale Familie

»Ich wünsche mir endlich eine normale Familie!«, erklärte mein knapp 10jähriger Sohn trotzig. Bei mir stieg leise Panik hoch. Hatte ich meinen Sohn endgültig verstört? Mein bester Freund hat mich ja mehrmals gewarnt. Er hat immer Bedenken wegen einiger Gags, die ich während meiner Auftritten im Programm habe. Ja, vieles was ich auf der Bühne erzähle hat mit meiner Familie und den kleinen alltäglichen Wahnsinn zu tun, den man da so erlebt. Mehr als 25 Jahre Beziehung mit einer Frau, zwei Kinder, zwei Meerschweinchen und ein Papagei hinterlassen Spuren. Aber meine Familie nimmt mich schon im täglichen Leben nicht ernst, warum sollte sie es tun wenn ich auf der Bühne den Clown gebe? Natürlich habe ich auch Pointen über meinen Sohn im Programm, aber erstens haben wir vorab darüber gesprochen, zweitens sind sie natürlich völlig überzogen und drittens kann man sich Familie und somit auch den Vater nicht aussuchen.

Meine Familie – meine Comedy

Was für Sachen ich da so erzähle? Na ja, verrückte Dinge eben wie z.B.: Mein Sohn hat schon immer totale Angst vor Dunkelheit gehabt. Wie er ca. vier Jahre alt war ist er einmal zu mir gekommen und hat sich bei mir ganz lieb bedankt. »Danke Papi, dass du das mit dem Licht im Klo so toll gemacht hast. Wenn ich in der Nacht auf’s Klo gehe geht das Licht automatisch an und wenn ich fertig bin wieder aus. Super, danke.«

Da habe ich gesagt: »Das ist lieb, dass du dich so nett bedankst Severin. Aber bitte hör endlich auf in den Kühlschrank zu pinkeln.«

»Genau solche Geschichten hätten mich als Kind fertig gemacht, wenn ich sie auf einer Bühne gehört hätte«, meint mein Freund. »Dein Bub muss doch völlig traumatisiert sein?!« Glaub ich nicht. Wenn überhaupt wäre er höchsten von einem völligen Playstation-, iPad-Mini-, TV, Kuschel- oder McDonalds-Verbot traumatisiert. Dachte ich zumindest. Jetzt aber, nachdem Severin sehnlichster Wunsch eine »normale Familie« zu sein schien, war ich verunsichert. Hatte ich mein Kind mit blöden Witzen für immer geschädigt? Was würde meine Frau sagen?

Wir sind eine normale Familie

»Severin, wir sind doch eine völlig normale Familie«, versuchte ich überzeugend zu sagen. »Papa, Mama, deine Schwester. Okay, deine Schwester ist gerade in der Pubertät und da muss man mit dem Wort normal großzügig umgehen. Aber ist doch alles im grünen Bereich?«

»Nein ist es nicht!«, erklärte Severin trotzig. »Lukas (ein Klassenkollege von Severin) hat eine Mama, drei Papas und neun Großeltern. Der hat zu Weihnachten 42 und zu Ostern 23 Geschenke bekommen! Ich habe nur eine Mama, einen Papa, keine Großeltern und bekomme viel weniger.«

»Ok, gutes Argument. Aber die Familie von Lukas ist nicht normal. Ein Papa und eine Mama sind normal. Lernt ihr das nicht in der Schule?«

»Nein, die Frau Prof. Reiniger hat auch schon zwei Männer geheiratet und lebt jetzt mit der Fr. Prof. Karstil zusammen. Die Kinder von ihr haben sogar schon zwei Papas und jetzt zwei Mamas. Sie hat gesagt, das ist völlig normal.«

Bin ich zu konservativ?

Tja und jetzt hatte ich ein Problem. Sollte ich darauf bestehen, dass wir normal, aber die Fr. Professor abnormal ist? Ich stellte mir gerade panikartig vor, wie mein Sohn seiner Fr. Professor im Brustton der Überzeugung an den Kopf wirft: »Fr. Professor, ihre Familie ist nicht normal. Das hat mein Papa gesagt!« Klar, und dann bin ich wieder das wertekonservative Arschloch. Wir sind eh schon als die strengsten Eltern in der Schule verrufen, weil wir unseren Sohn manchmal sogar zwingen seine Hausübungen zu machen. So nicht. Aber wie jetzt Sohnemann von den Vorteilen unsere Familie überzeugen, ohne andere politisch unkorrekt zu diskriminieren und damit jedes Elterntreffen für meine Frau (ich selbst habe sowieso schon Hausverbot in der Schule meines Sohnes) zu einem Spießrutenlauf zu machen?

»Severin, du glaubst also, dass so eine Familie wie beim Lukas besser ist?«

»Ja, er bekommt zumindest viel mehr Geschenke.«

»Okay, aber dafür lernt er jede Weihnachten neue Verwandte kennen. Vielleicht haben die dann Mundgeruch, das Klo ist immer besetzt und du kannst dann nicht einfach in der Unterhose durch die Wohnung laufen bei all diesen fremden Menschen.«

Zugegeben, klar, nicht brillant. Aber ich bin ein Mann. Was hätte ich sagen sollen? Aber dann hatte ich eine Erleuchtung. Plötzlich war mir klar, wie ich ihm unsere Familie schmackhaft machen könnte. Typisch österreichisch: ich mache ihm einfach die andere Familie madig.

Patchwork heißt nicht umsonst WORK

»Severin, was glaubst du wie mühsam das mit so vielen Mamas, Papas und Großeltern ist. Jeder von denen fragt dich dann permanent wie es in der Schule ist oder ob du gute Noten hast? Wir müssen dann dauernd zu irgendwelchen mühsamen Familienfeiern – für die man sich natürlich schön anziehen muss – weil wieder eine Oma oder Opa Geburtstag, Hochzeitsjubiläum oder Begräbnis hat. Und ja, mit so vielen Verwandten bekommt man mehr Geschenke. Das stimmt. Aber eins muss dir auch klar sein. Für jede Mama, jeden Papa, jede Oma und jeden Opa musst du aber dann auch ein Geschenk basteln. Zu Weihnachten, zu Ostern, zum Muttertag, zum Vatertag, zum Geburtstag, etc. Nicht irgendwas aus der Schule vom Werk- und Strickunterricht. Nein, eines, das vom Herzen kommt. Und für jeden ein eigenes Geschenk.«

»Echt?«, war Severin entsetzt. »Was geht? Das ist voll Stress, Alter.«

Und seit dem ist Severin mit unserer normalen Familie wieder zufrieden.